Petrus befindet sich auf dem Weg zu seinem Martyrium und erinnert sich dabei der einzelnen Lebensstationen, wie sie uns in den Evangelien, der Apostelgeschichte und außer-biblischen Legenden berichtet werden. Der Textdichter stellt dabei alle Ereignisse unter einen übergeordneten Leitgedanken, nämlich die sehr widersprüchliche und Anstoß erregende Tatsache, daß Petrus neben Paulus einerseits ganz sicherlich der bedeutendste und einflußreichste aller Apostel war, andererseits aber immer wieder versagte und keineswegs als vollkommener Mensch oder mustergültiger Jünger angesehen werden konnte.
Motto:
»Der höheste und feineste Apostel, Petrus, fällt schändlicher, denn die andern Aposteln, und kömmet dennoch wieder. Wenn ich Petrum abconterfeien oder abmalen könnte, wollt ich allenthalben auf ein jedes Härlin auf seinem Häupte schreiben: Vergebung der Sünden; darümb, daß er ein Exempel ist dieses Artikels von Vergebung der Sünden.«
Martin Luther (Originaltext)
(in Hochdeutsch : Der höchste und vornehmste Apostel, Petrus, fällt tiefer als die anderen Apostel- und kommt doch wieder zu Ehren. Wenn ich Petrus abbilden oder abmalen sollte, so wollte ich auf jedes Haar auf seinem Haupt schreiben : Vergebung der Sünden, darum, weil er ein Beispiel des Artikels von der Vergebung der Sünden ist).
» Petre amas me? – Tu scis, domine, quia amo te. – Pasce oves meas.
Petrus, liebst Du mich? – Ja, Du weißt es, Herr, daß ich Dich lieb habe. – Weide meine Herde.“
Dieser Dialog: die dreimalige Frage Jesu und die Antwort des Apostels Petrus (abwechselnd im lateinischen und deutschen Text) erklingt zu Beginn und Ende unseres Oratoriums.
Der Chor zieht damit aus einem Nebenraum in die Kirche ein. Aus der Melodie des mittelalterlichen Responsoriums wird dabei durch Umformung die kantable Zwölftonreihe, die das ganze Werk wie ein Cantus firmus durchzieht: (Tonbeispiel I)
Was ist eine „Sensopera“?
Aus der Anlage des Textes als Selbstgespräch zwischen dem alten Petrus und seiner Erinnerung, der „Memoria“, einer seit dem Kirchenvater Augustin besonders in geistlicher Dichtung kultivierten literarischen Technik (»Soliloquium«), erklärt sich auch der Untertitel des Oratoriums PETRUS: »Biblische Sensopera«: So drastisch, spannend, ja »opernhaft« die Ereignisse, von denen das Werk berichtet, auch sein mögen, sie erscheinen nicht tatsächlich auf der Bühne, sondern finden – da vergangen – nur ihren Niederschlag im Gemüt, in den Gefühlsregungen des sich erinnernden Apostels- sozusagen nur vor dem „inneren Auge“- wie ein Film, der im Augenblick des Todes noch einmal die wichtigsten Stationen seines Lebens zusammenfaßt.
Zunächst aber möchte ich Ihnen den Komponisten dieses Werkes vorstellen:
Henning Frederichs (1936-2003)
Henning Frederichs wurde am 8.5.1936 in Königsberg geboren. Die Familie zog nach Berlin und nach dem Krieg nach Göttingen. Frederichs legte dort das altsprachliche Abitur ab, wurde in die Studienstiftung des Deutschen Volkes aufgenommen und studierte zunächst in Hamburg und später in Köln an den Musikhochschulen (Dirigieren, Orgel und Kirchenmusik, Komposition), in Bochum Musikwissenschaft und Theologie. Entsprechend vielseitig war sein Berufsweg: als junger Korrepetitor und Kapellmeister wirkte er am Staatstheater Braunschweig. Nach sechs Jahren Tätigkeit als hauptamtlicher Kantor in Bochum wurde er der erste Universitätsmusikdirektor der neuen Ruhr-Universität und promovierte 1974 dort: Titel der Dissertation: „Das Verhältnis von Text und Musik in den Brockespassionen Keisers, Händels, Telemanns und Matthesons“. 1974 ernannte ihn die Westfälische Kirche zum Kirchenmusikdirektor. Bis 1988 leitete er den Wittener Bachchor und führte mit ihm viele große Oratorien auf. 1977 wurde er als Professor für Chorleitung, Dirigieren und Orgelimprovisation an das Institut für Evangelische Kirchenmusik an die Musikhochschule Köln berufen. Dort prägte er bis zu seiner Pensionierung viele Kirchenmusiker/Innen - in den letzten Jahren auch „ökumenisch“, da die evangelische und katholische Abteilung auf seine Anregung hin in der Disziplin „Chorleitung“ zusammengelegt wurde, was sich hervorragend bewährte.
Das kompositorische Schaffen begleitete Frederichs durch alle Abschnitte seines Berufslebens. So entstand ein umfangreiches und vielseitiges Werkverzeichnis. Der Schwerpunkt liegt darin eindeutig auf geistlicher Chor- und Orgelmusik: Drei Oratorien („Petrus“, die „Passionserzählungen der Maria Magdalena“, „Hiob“), die „Missa in pacem deutsch“ (als Auftrag der Ev. Kirche im Rheinland für das Millennium 2000 entstanden), Kantaten, Chor-Motetten, Orgel- und Solowerke. Liederzyklen, Kammermusik und Orchesterwerke ergänzen diese Fülle von Kompositionen im „weltlichen“ Bereich.
Seine avancierte Tonsprache fußt auf der Tradition und ist erkennbar an ihren charakteristischen „Vokabeln“. Die Reihentechnik nutzte Frederichs als Material, das ihm Freiraum gibt, eigene „Formeln“ für seine Musik zu erfinden. Dabei sind Kantabilität und Expressivität der Werke sein besonderes Anliegen. Nach Frederichs‘ Meinung muss eine Komposition über ihren rein musikalischen Gehalt „mit Bedeutung angereichert“ sein. Sie sollen sich dem Hörer ganzheitlich erschliessen.
Seine Werke brauchen den engagierten und fantasievollen Interpreten als „Übersetzer“, das macht seine Musik neben ihrer Qualität für den Spieler so reizvoll, obwohl - oder gerade - weil sie hohe technische Ansprüche stellt.
Die meisten seiner Werke wurden im Dohr Verlag (Köln) verlegt (www.dohr.de).
Henning Frederichs starb am 28.12.2003 nach kurzer Krankheit in Wuppertal.
Inhaltsangabe
Die Biblische Sensopera PETRUS versetzt uns in das antike Rom, wo der Apostel Petrus zusammen mit Paulus eine folgenschwere Aufgabe übernommen hatte: Die Heidenmission. Wir zählen das Jahr 67 n. Chr. Hier wirkte Petrus für die junge verfolgte und soll u.a. den Neffen des blutrünstigen Kaisers Nero ins Leben zurückgerufen haben. Hier aber fand Petrus der Überlieferung nach auch den Tod, und die INTRODUKTION zeigt uns den Apostel auf dem Gang zu seiner Hinrichtung. Während er sein Kreuz trägt, erinnert er sich noch einmal der wichtigsten Ereignisse seines Lebens. Diese werden im Zwiegespräch mit der »Memoria«, der inneren Stimme seines Gewissens und seines Gedächtnisses, aus der Tiefe der Vergessenheit heraufgeholt.
Das Werk gliedert sich in drei größere Teile. Die gesamte Aufführungsdauer beträgt ca. 75 Minuten.
1.Teil: Petrus - Der Fischer
Simon Petrus wartet, wie viele Juden, zusammen mit seinem Bruder Andreas auf die Ankunft des Messias. Sie werden Anhänger von Johannes dem Täufer, der ihnen eines Tages von weitem Jesus, »das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde trägt«, zeigt.
Die nächste Szene spielt am See Genezareth: Jesus lehrt das Volk vom Schiff aus (KANON: »Bergpredigt«), er verspricht Petrus einen großen Fischfang und macht ihn zu seinem Jünger (»Menschen statt Fische wirst Du fangen«).
Ein ausgedehnter Chor (RONDO) über die Nachfolge in der Lehre Jesu und die möglichen Einwendungen dagegen beendet den Teil.
Die Methode der psychologischen Ausdeutung kommt auch in dieser letzten Szene des 1. Teils zur Anwendung:
Der große Chor, der sich an das Nachfolge-Gebot Jesu („Folge mir nach“) anschließt, beginnt kraftvoll, jedoch bröckelt der zunächst spontane und überzeugte Gehorsam bei näherer Überlegung immer mehr ab. Aus dem »ich will Dir nachfolgen« wird das »ich wünsche«, »ich möchte«, schließlich »ich würde, wenn man nur wüßte, wo es hingeht«. Es finden sich viele Entschuldigungen, die Nachfolge auszuschlagen, z.B. „erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe“ und das Abschiednehmen von alten Gewohnheiten.
Am Ende des Rondos wird die Überzeugung des Anfangs wieder erreicht.
Aus diesem Rondo hören wir einige Teile (Tonbeispiel II)
II. Teil „ Petrus - Der Jünger“
Die 1. Szene (PASSACAGLIA) schildert das Wandeln Jesu auf dem Meer und den vergeblichen Versuch des Petrus, es ihm gleichzutun. Auf acht Becken wird das Hauptthema „naturhaft“ intoniert. Petrus versinkt, als er die Gefahr und den Sturm bemerkt- und Jesus nennt ihn „Du Kleingläubiger“.
Der Chor hat hier die Aufgabe, gleichzeitig mit dem Text der Solisten, den Wind zu gestalten. Diese Partie hat zwar aleatorische Freiheiten, ist aber genau notiert. hören wir einige Ausschnitte aus der Szene (Tonbeispiel III)
Es folgt das Messiasbekenntnis, das Petrus aus der Menge der übrigen Anhänger, die Jesus für Elias, Jeremias u. a. halten, deutlich heraushebt (Petrus = Felsen).
Chor: »Etliche sagen, Du seist Johannes, der Täufer, die anderen, du seist Elia, etliche, Du seist Jeremia oder der Propheten einer.«
Memoria: Und Jesus fragte, für wen denn wir Ihn hielten. Da antwortetest Du Ihm:
Petrus: »Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes O, Du lieber Herre!«
Memoria: Da sagte Jesus: »Selig bist Du, Simon, Du Sohn des Jona, denn nicht Fleisch und Blut haben Dir dies offenbaret, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage Dir:
Chor: »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Hölle sollen sie nicht überwinden!«
Hier wird aus dem vom Chor geschichteten vielstimmigen Akkord (jede Stimme singt nur einen Teil des Satzes) bei zentralen Worten des Bekenntnisses ein Teil-Akkord herausgehoben. (Tonbeispiel IV)
Es schließt sich die Szene der »Fußwaschung« an und endlich die »Verleugnung« nach der Verhaftung Jesu, die sich in diesem Oratorium zu einer Abrechnung des Petrus mit sich selbst über die Gründe für dieses Versagen ausweitet (CONDUCTUS, eine Art Trauermarsch).
Hier, im Zentrum des ganzen Werkes, sozusagen als Schlüsselszene, steht die Verleugnung im Hof des Hohenpriesters. Entgegen der herkömmlichen Überlieferung wird der Charakter des Petrus ganz und gar dialektisch gesehen: Jede aus übervollem, liebenden Herzen kommende Handlung endet in peinlichem Versagen; jeder negativen Tat steht ein positiver Beweggrund gegenüber.
Petrus reflektiert mit Hilfe der Memoria seinen Verrat an Jesus, der ihn sein ganzes weiteres Leben beschäftigt hat: war es Anhänglichkeit, Liebe, Geltungsdrang, Scham?
Am Ende stehen die drohend-rhythmisierten Rufe der Menge „Dieser ist auch einer von denen, die bei ihm waren“.
Auch die Episode mit dem Hahnenschrei wird nicht durch das vordergründige Wecksignal geprägt, sondern durch die aus dem Lukasevangelium entnommene, unmittelbar anrührende Bemerkung, daß Jesus im Moment des Verrats sich umdreht und Petrus ins Auge blickt. Hier hören wir von der Klarinette auch den Ruf der „Petrus-Amsel“, als der neue Tag erscheint.
Hören wir diese Schluss-Szene des 2. Teils: (Tonbeispiel V)
III. Petrus - Der Apostel
Ein Orchestervorspiel symbolisiert das »niedergefahren zur Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten«. Hier klingt Luthers alter Osterhymnus „Christ ist erstanden“ in allen Instrumenten an, zum Teil als Umkehrung und Vergrößerung des cantus firmus (Tonbeispiel VI)
In Form von Variationen (CHORAL-PARTITA) folgen nun die Ereignisse nach Ostern:
die Geschehnisse am offenen Grab,
die Begegnung des Petrus mit dem Auferstandenen,
die Himmelfahrt Jesu,
Pfingsten mit dem Zungenreden der Jünger,
die weitere Entwicklung bis zur Heidenmission.
Die einzelnen Teile dieser großen Partita werden jeweils durch ein gleichbleibendes Orgelmotiv eingeleitet, das den Anfang der Grundreihe zitiert.
In der Begegnung mit dem Auferstandenen wird die dreimalige Frage Jesu an Petrus über einem Perpetuum mobile ausgeführt: „Petrus, liebst du mich – ja du weißt es Herr – weide meine Herde)- und die Wiederholung des „Folge mir nach“ (Tonbeispiel VII)
Die Pfingstgeschichte verdient besondere Beachtung: aus träumerischen Klängen heraus intoniert der Chor leise einen unverständlichen Text, das Zungenreden. Erst im Verlauf des Stückes und durch die Worte der Solisten ergibt sich am Ende der Sinn:
Chor: Ha-nä-ä-ta-o ä-ji-a-ßär-do ha-li-nä-ga etc. etc.
Petrus: Als aber der Tag der Pfingsten erfüllt war, wurden wir alle voll des Heiligen Geistes. Da entsetzten sich alle Juden, und ich mußte ihnen erklären, daß wir mitnichten betrunken waren, sondern in Zungen redeten. Da, plötzlich, verstanden sie die Worte:
Memoria / Chor: »Johannes, der taufte mit Wasser, doch Ihr sollt getauft werden mit dem Heiligen Geist!« (Tonbeispiel VIII)
Im Abschluß des Werkes, der CONCLUSIO nimmt der Sprecher den Beginn des Oratoriums wieder auf, der Chor zitiert ein Wort des Apostels aus dem 1. Petrusbrief („Denn ein Herz voll Liebe, das deckt der Sünden Menge“) und zieht nach einem Gebet mit dem Eingangsresponsorium hinaus.
Zur Musik der Sensopera:
Der Komposition liegt eine mittelalterliche Responsoriumsmelodie zugrunde, die mit lateinischem Originaltext vom Chor bei seinem Einzug gesungen wird. Bei der anschließenden Übersetzung dieser, dem ganzen Werk mottohaft vorangestellten, Worte ins Deutsche verändert sich der cantus firmus zur Zwölftonmelodie, die im folgenden das gesamte musikalische Geschehen bestimmt.
Die über weite Strecken hin streng gehandhabte Zwölftontechnik soll wie eine andere Art Tonalität verstanden werden und gewährleistet den Zusammenhang dieser umfangreichen Komposition. Zu diesem Zweck wird sie horizontal, also zur Erfindung von Melodielinien angewendet, nicht vertikal zur Bildung von Akkorden. Dieselbe Aufgabe haben bestimmte Motive und Leitfarben, die im Verlauf des Stückes immer wieder auftauchen.
Neben den durchorganisierten Teilen gibt es Stellen mit frei verwendeter Reihentechnik bis hin zur Öffnung in die Aleatorik, also von den Interpreten gesteuerter Improvisation. Hierbei spielen chromatische oder diatonische Cluster (Zusammenballungen von Tönen auf engstem Raum) eine besondere Rolle, die sich auf der Grenze zwischen tonlich fixierter Komposition und reiner Klangfarben- oder Geräuschmusik bewegen.
Bei der Behandlung der Solo-Partien ermöglichte der Kunstgriff, die Hauptperson aufzuspalten in den alternden Apostel (Bariton) und die zeitlose Stimme seiner Erinnerung (Sopran), differenzierte musikalische Ausformungen vom Monolog über den sukzessiven (abwechselnden) Dialog bis zum simultanen, bestätigenden, im Einklang, Mixturklang oder in Gegenrichtung geführten Duett. Verschiedene Artikulationsarten, vom Singen über den Sprechgesang bis zum Sprechen, Schreien und Flüstern, verdeutlichen den Grad der inneren Anteilnahme am Geschehen.
Das Instrumentarium besteht nur aus sieben Spielern, die jedoch erstaunliche Klangfarben erzeugen können: Den drei Tasteninstrumenten, die die verschiedenen Arten der Tonerzeugung vertreten, nämlich den geblasenen, lang anhaltenden (Orgel), den geschlagenen (Klavier) und den gezupften Ton (Cembalo), stehen zwei Melodieinstrumente gegenüber, die mit ihrem modulationsfähigen Ton der mehr emotionalen Seite der Musik dienen sollen (Violine und Klarinette). Abgerundet wird das Orchester von unterschiedlichsten Schlaginstrumenten (zwei Spieler), die in erster Linie Rhythmus, aber auch Klangfarbe sowie tonlich nicht fixierte Geräuschmelodien beizusteuern haben (z.B. Vibraphon, Becken, Pauke, Tamtam).
Das kleine Ensemble hat in den reinen Instrumentalstücken überleitende, stimmungsmalende oder erläuternde Funktion: Am Ende der Introduktion schildert es den Prozessionszug zum Martyrium des Apostels, zu Beginn des II. Teils und an weiteren Stellen der Handlung ruft es diese Prozession wieder in Erinnerung.
In den textgebundenen Partien überwiegen die instrumental-farblichen Anspielungen: Immer wenn »Memoria« zu Wort kommt, wird sie durch expressive Akkordbrechungen der Klarinette eingeführt (wie man etwas aus der Tiefe der Erinnerung hervorholt), Petrus dagegen durch das Vibraphon. Verschiedenste seelische Regungen der Beteiligten hat die Violine widerzuspiegeln; unwirkliche, außergewöhnliche Ereignisse werden durch das Tamtam grundiert, naturhafte Geräusche von acht, verschieden klingenden Becken hergestellt.
Die größte Flexibilität hat der Chor zu beweisen: Vom objektivierenden Kommentar bis zu innerster Anteilnahme erstreckt sich seine Ausdrucksskala. Die technischen Mittel bewegen sich vom homophonen über polyphonen zwölftönigen Chorgesang bis zu aleatorischen Partien, in denen er ohne festgelegte Tonhöhen und / oder vorgegebenen Rhythmus Text improvisatorisch zu vermitteln hat. Seine Artikulation reicht vom Sprechen zum Singen und über Glissandi bis zu reinen Geräuschfeldern.
Formal entwickelt sich die Musik parallel zum inhaltlichen Geschehen:
Im 1. Teil kommen die weit zurückliegenden Erinnerungen des Apostels an seine Jugend als Fischer erst allmählich wieder an die Oberfläche, entsprechend sind die Solostimmen rhythmisch frei, rezitativisch oder im hastig einander abwechselnden Dialog geführt.
Der II. Teil schildert Petrus als Jünger, voll von Anfechtungen, schwankenden Gemüts und mit überschwenglichem Herzen. Analog erhält die Musik hier die meisten aleatorischen Anteile: Chorglissandi, Cluster, Klangflächen, Sprechgesang und Sprechpartien.
–
Nach Ostern, im III. Teil, tritt uns Petrus dagegen in der Souveränität und Sicherheit des kompetenten, von seinem Herrn autorisierten Apostels entgegen: Die Berichte der Geschehnisse nach Jesu Auferstehung fügen sich daher nun in die einzelnen Variationen einer großen Choral-Partita ein, einer ehrwürdigen, in der Barockzeit stabilisierten Technik der cantus-firmus-Verarbeitung, die in diesem Teil mit modernen Mitteln auf die Zwölftonmelodie, von der zu Beginn die Rede war, übertragen wird.
Umrahmt wird das ganze Werk von einem Responsorium, dessen lateinischer Text, ebenso wie das abschließende Gebet (Oratio), einem mittelalterlichen Festoffizium entnommen ist und in dem der Leitgedanke ausgesprochen ist, daß nicht vorbildliches Verhalten oder erfolgreiche Taten Petrus zum Hirten der christlichen Gemeinde prädestinierten, sondern allein seine unverbrüchliche Anhänglichkeit und Liebe zu seinem Herrn, durch die sein mehrfaches Versagen in der Vergebung aufgehen konnte.
Wir hören zum Abschluss des Vortrages dieses Gebet (Oratorio), bei dem die Instrumente noch einmal ihre Hauptmotive „einblenden“ und den Auszug mit dem Responsorium. (Tonbeispiel IX)
Zur Musik
Der Komposition liegt eine mittelalterliche Responsoriumsmelodie zugrunde, die mit lateinischem Originaltext vom Chor bei seinem Einzug gesungen wird. Bei der anschließenden Übersetzung dieser, dem ganzen Werk mottohaft vorangestellten, Worte ins Deutsche verändert sich der cantus firmus zur Zwölftonmelodie, die im folgenden das gesamte musikalische Geschehen bestimmt.
Die über weite Strecken hin streng gehandhabte Zwölftontechnik soll wie eine andere Art Tonalität verstanden werden und den Zusammenhang einer verhältnismäßig umfangreichen Komposition gewährleisten. Zu diesem Zweck wird sie horizontal, also zur Erfindung von Melodielinien angewendet, nicht vertikal zur Bildung von Akkorden. Dieselbe Aufgabe haben bestimmte Motive und Leitfarben, die im Verlauf des Stückes immer wieder auftauchen.
Neben den durchorganisierten Teilen gibt es Stellen mit frei verwendeter Reihentechnik bis hin zur Öffnung in die Aleatorik, also mehr oder weniger vom Zufall gesteuerter Improvisation. Hierbei spielen chromatische oder diatonische Cluster (Zusammenballungen von Tönen auf engstem Raum) eine besondere Rolle, die sich auf der Grenze zwischen tonlich fixierter Komposition und reiner Klangfarben- oder Geräuschmusik bewegen.
Bei der Behandlung der Solo-Partien ermöglichte der Kunstgriff, die Hauptperson aufzuspalten in den alternden Apostel und die zeitlose Stimme seiner Erinnerung, differenzierte musikalische Ausformungen vom Monolog über den sukzessiven (abwechselnden) Dialog bis zum simultanen, bestätigenden, im Einklang, Mixturklang oder in Gegenrichtung geführten Duett. Verschiedene Artikulationsarten, vom Singen über den Sprechgesang bis zum Sprechen, Schreien und Flüstern, verdeutlichen den Grad der inneren Anteilnahme am Geschehen.
Das Instrumentarium beschränkt sich auf das notwendigste: Den drei Tasteninstrumenten, die die verschiedenen Arten der Tonerzeugung vertreten, nämlich den geblasenen, langanhaltenden (Orgel), den geschlagenen (Klavier) und den gezupften Ton (Cembalo), stehen zwei Melodieinstrumente gegenüber, die mit ihrem modulationsfähigen Ton der mehr emotionalen Seite der Musik dienen sollen (Violine und Klarinette). Abgerundet wird das Orchester von unterschiedlichsten Schlaginstrumenten, die in erster Linie Rhythmus, aber auch Klangfarbe sowie tonlich nicht fixierte Geräuschmelodien beizusteuern haben.
Das kleine Ensemble hat in den reinen Instrumentalstücken überleitende, stimmungsmalende oder erläuternde Funktion: Am Ende der Introduktion schildert es den Prozessionszug zum Martyrium des Apostels, zu Beginn des II. Teils und an weiteren Stellen der Handlung ruft es diese Prozession wieder in Erinnerung und leitet zu der Passacaglia über; an deren Ende, auf die Frage »was ist das für ein Mensch?«, liefert es eine instrumentale Antwort durch motivische Verarbeitung der Prophezeiung Johannes‘ des Täufers; auf die Ernennung des Petrus zum Hirten der Gemeinde reagiert es mit einer Phantasie über das entsprechende Motiv aus dem gregorianischen Responsorium; in der Verleugnungsszene spielt es einen aus dem Eingangschor entwickelten Trauermarsch (Kondukt), zu Beginn des III. Teils eine symbolische Darstellung des Ostergeschehens und an dessen Ende eine Wiederaufnahme der Prozessionsmusik.
In den textgebundenen Partien überwiegen die instrumentalfarblichen Anspielungen: Immer wenn »Memoria« zu Wort kommt, wird sie durch expressive Akkordbrechungen der Klarinette eingeführt (wie man etwas aus der Tiefe der Erinnerung hervorholt), Petrus dagegen durch das Vibraphon. Verschiedenste seelische Regungen der Beteiligten hat die Violine widerzuspiegeln; unwirkliche, außergewöhnliche Ereignisse werden durch das Tamtam grundiert, naturhafte Geräusche von acht, verschieden klingenden Becken hergestellt.
Die größte Flexibilität hat der Chor zu beweisen: Vom objektivierenden Kommentar bis zu innerster Anteilnahme erstreckt sich seine Ausdrucksskala. Die technischen Mittel bewegen sich vom homophonen über polyphonen zwölftönigen Chorgesang bis zu aleatorischen Partien, in denen er ohne festgelegte Tonhöhen und / oder vorgegebenen Rhythmus Text improvisatorisch zu vermitteln hat. Darüberhinaus spaltet er sich oft in kleinste Untergruppierungen bis zu Einzelsängern auf. Seine Artikulation reicht vom Sprechen zum Singen und über Glissandi bis zu reinen Geräuschfeldern. Der Text, den er an den Hörer weitergibt, ist einmal erklärender Natur, ein andermal engagiertes Zeugnis, mal besteht er in Äußerungen einer Volksmenge (»Turba«), mal übermittelt er im »pluralis majestatis« Worte Jesu oder Johannes des Täufers.
Formal entwickelt sich die Musik parallel zum inhaltlichen Geschehen: Im 1. Teil kommen die weit zurückliegenden Erinnerungen des Apostels an seine Jugend als Fischer erst allmählich wieder an die Oberfläche, entsprechend sind die Solostimmen rhythmisch frei, rezitativisch oder im hastig einander abwechselnden Dialog geführt. – Der II. Teil schildert Petrus als Jünger, voll von Anfechtungen, schwankenden Gemüts und mit überschwenglichem Herzen. Analog erhält die Musik hier die meisten aleatorischen Einsprengsel, Chorglissandi, Cluster, Klangflächen, Sprechgesang und Sprechpartien. – Nach Ostern, im III. Teil, tritt uns Petrus dagegen in der Souveränität und Sicherheit des kompetenten, von seinem Herrn autorisierten Apostels entgegen: Die Berichte der Geschehnisse nach Jesu Auferstehung fügen sich daher nun in die einzelnen Variationen einer großen Choral-Partita ein, einer ehrwürdigen, in der Barockzeit stabilisierten Technik der cantus-firmus-Verarbeitung, die in diesem Teil mit modernen Mitteln auf die Zwölftonmelodie, von der zu Beginn die Rede war, übertragen wird.
Textbuch
Motto:
»Der höheste und feineste Apostel, Petrus, fällt schändlicher, denn die andern Aposteln, und kömmet dennoch wieder. Wenn ich Petrum abconterfeien oder abmalen könnte, wollt ich allenthalben auf ein jedes Härlin auf seinem Häupte schreiben: Vergebung der Sünden; darümb, daß er ein Exempel ist dieses Artikels von Vergebung der Sünden.« Martin Luther
Chor: Petre amas me? – Tu scis, domine, quia amo te. – Pasce oves meas. Petrus, liebst Du mich? – Ja, Du weißt es, Herr, daß ich Dich lieb habe. – Weide meine Herde.
Sprecher: Als das Leben des Apostels Petrus dem Ende sich zuneigte, dem Ende, das ein gewaltsames wohl war, gewaltsamer noch als das seines Herrn (wenn auch nicht schmählicher), – als sein Licht zu verlöschen begann, das Licht, das ihm – einem Monde gleich – von der Sonne seines Lebens, Christus, gespendet worden war, da durchwanderten seine Gedanken die Stationen seines bewußten Daseins, die Ereignisse in der Nachfolge Jesu, die ihn als fehlsamen Menschen, doch immer begeistert seinem Meister anhängenden Jünger, auf die Bühne der Geschichte gestellt hatten. –
Wie hatte es doch angefangen?
1. Der Fischer
(»Petrus piscator«)
Memoria: Simon, Du Sohn des Jona, des Fischers aus Bethsaida! Erinnerst Du Dich noch? Dein Weib, Dein Kind, Dein Haus in Kapernaum, am See Tiberias. Denkst Du noch an Deinen Bruder Andreas? Wie fromm Ihr wart! Wie Ihr auf das Reich Gottes wartetet! Spürst Du noch die Sehnsucht, als Ihr von Johannes hörtet, dem Täufer Johannes, der von dem wahrhaftigen Licht zu zeugen begann, das alle Menschen erleuchten würde? Wie Ihr seine Anhänger wurdet? Und dann der unvergeßliche Tag: Andreas stand bei Johannes, sie sahen Jesus vorübergehen und Johannes erkannte und zeigte überlang auf Ihn und weissagte, was er von Ihm sah:
Chor: Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.
Memoria: Und die frohe Botschaft ergriff alle Umstehenden. Atemlos kam Dein Bruder Andreas gelaufen und berichtete Dir voller Freude, daß nun, endlich, der Messias, der Gesalbte gefunden sei, und er wiederholte, was Johannes gesagt hatte:
Chor: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!
Memoria: Simon, Du Sohn des Jona, wie ging es weiter?
Petrus: Jesus kam zu dem See Genezareth,
Memoria: und als das Volk sich zu Ihm drängte, damit sie auf das Wort Gottes höreten,
Petrus: da sah Er zwei Boote am Ufer liegen,
Memoria: die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze,
Memoria / Petrus: da trat Er in das Boot, welches Dir / Mir, dem Simon gehörte
Petrus: und bat mich ein Stück vom Lande wegzufahren,
Memoria: dort setzte Er sich und lehrte das Volk vom Schiff aus,
Memoria / Petrus: die Menschen aber gaben es einander weiter:
Chor: KANON
Selig sind, die da geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen. Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens; und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus dem bösen Schatz seines Herzens. Denn wes das Herz voll ist, des geht der Mund über!
Petrus: War das nicht zu mir gesprochen? Durchschaute Er nicht schon damals mein Wesen, wie es sich später immer wieder zu erkennen geben sollte? Denn als der Herr seine Rede beendet hatte, sprach Er zu mir, ich solle hinausfahren auf den See, dort die Netze auswerfen, auf daß wir einen Fang täten! Und ich antwortete ihm: »Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen, aber auf Dein Wort will ich das Netz auswerfen!« Und – weißt Du noch? – als wir das taten, schlossen wir eine so große Menge Fische ein, daß unsre Netze zu reißen drohten und wir den Kameraden, die in dem anderen Boot saßen, winken mußten, daß sie kämen und uns hülfen.
Memoria: Ja, und sie kamen herbeigerudert und füllten beide Boote bis zum Rand, so daß sie beinahe untergingen.
Petrus: Noch heute überwältigt mich dieses Geschehen in der Erinnerung, damals aber fiel ich Jesu zu Füßen und stammelte: »Herr, gehe weg von mir! Herr, denn ich bin ein sündiger Mensch.« Denn ein Schrecken war über mich gekommen, über mich und alle, die mit mir waren, über diesen Fischzug, den wir miteinander getan hatten.
Memoria: Jesus aber sprach: »Fürchte Dich nicht, denn von nun an wirst Du Menschen fangen!«
Petrus: Da zogen wir die Boote an Land, ließen alles zurück und folgten ihm nach.
Chor: RONDO
»Dir, o Herr, Dir will ich nachfolgen, überall wohin Du gehst; ja, Dir wünsche ich zu folgen, Herr, wo Dein Weg Dich auch hinführt; doch, ich möchte, Herr, Dir folgen, was Dir auch immer begegnen mag; Herr, Dir würde ich schon folgen, doch weiß man auch wohin?« »Folge mir nach!«
»Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester, aber des Menschen Sohn hat keinen Platz, da er sein Haupt hinlege.«
»Ja, Dir wünsche ich zu folgen, Herr, wo Dein Weg Dich auch hinführt; doch, ich möchte, Herr, Dir folgen, was Dir auch immer begegnen mag; Herr, Dir würde ich schon folgen, doch weiß man auch wohin?«
»Folge mir nach!« »Herr erlaube, daß ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.« »Laß die Toten ihre Toten begraben.«
» Folge mir nach!«
»Herr, ich will Dir nachfolgen, aber laß mich zuvor Abschied nehmen von meiner Familie, von meinem Eigentum, von meiner Heimat, von meiner Vergangenheit, von meinen Gewohnheiten, von meinem Umkreis, von meinem bisherigen Leben, von »Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes.«
» Folge mir nach!«
»Herr, Dir würde ich schon folgen, doch weiß man auch wohin? Doch, ich möchte, Herr, Dir folgen, was Dir auch immer begegnen mag; ja Dir wünsche ich zu folgen, Herr, wo Dein Weg Dich auch hinführt; Dir, o Herr, Dir will ich nachfolgen überall, wohin Du gehst.«
II. Der Jünger
(»Simon Petrus – semper peccans«)
PASSACAGLIA
Memoria: Nach dieser Zeit stieg Jesus auf einen Berg; Er rief alle seine Jünger zu sich und wählte unter ihnen die Zwölfe aus, die Er Apostel nannte. Dir aber, dem Simon, gab Er den Beinamen Petrus. Euch Zwölf schickte Er im Boot voraus, weil Er in der Einsamkeit beten wollte.
Petrus: Ja, und spät am Abend, da war Er immer noch allein auf dem Berge, das Boot aber schon mitten auf dem großen See. Da wurde es von den Wellen hin- und hergeworfen, denn es herrschte schlimmer Gegenwind! Da kam Jesus in der vierten Nachtwache zu uns – und denke Dir – Er ging auf den Wogen. Als wir Jünger Ihn über das Meer kommen sahen, erschraken wir und schrieen vor Furcht: »Das da, das ist ein Gespenst.«
Memoria: Doch Jesus begann zu Euch zu reden, getrost solltet Ihr sein und solltet Euch nimmermehr fürchten, denn Er sei es doch!
Petrus: Und ich, ja ich erwiderte darauf: »Herr, wenn Du es bist, Du, so befiehl, daß ich auf dem Wasser zu Dir komme.«
Memoria: Und Jesus sagte zu Dir: »Komm‘ her!«
Petrus: Da kletterte ich aus dem Boot und wandelte über das Meer auf Jesus zu. Als mir aber klar wurde, wie heftig der Wind war, da bekam ich es mit der Angst zu tun und begann sofort unterzugehen; da schrie ich: »Herr, rette mich!«
Memoria: Jesus aber streckte sogleich die Hand aus, er ergriff Dich und nannte Dich kleingläubig: »O, Du Kleingläubiger, warum hast Du gezweifelt?«
Petrus: Und wir betraten das Schiff, und der Wind legte sich. Da packte uns alle große Furcht, und wir sagten untereinander:
Memoria / Petrus / Chor: »Was ist das für ein Mensch, daß ihm Wind und Meer gehorsam sind?«
Orchesterzwischenspiel
Chor: »Etliche sagen, Du seist Johannes, der Täufer, die anderen, du seist Elia, etliche, Du seist Jeremia oder der Propheten einer.«
Memoria: Und Jesus fragte, für wen denn wir Ihn hielten. Da antwortetest Du Ihm:
Petrus: »Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes O, Du lieber Herre!«
Memoria: Da sagte Jesus: »Selig bist Du, Simon, Du Sohn des Jona, denn nicht Fleisch und Blut haben Dir dies offenbaret, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage Dir:
Chor: »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Hölle sollen sie nicht überwinden!«
Orchesternachspiel
Petrus: Was sollte das bedeuten? Wollte Er mich über alle Menschen erheben? Sollte ich mächtiger werden als die übrigen? Sollte ich Gewalt haben über die dunklen Mächte, ich, der ich doch selbst immer wieder versagte? Hatte Er das im Sinn, mich zu erhöhen, indem Er sich demütigte, als Er meine Füße wusch? Warum verstand Er nicht, daß ich Ihn nicht vor mir knien lassen konnte, daß lieber ich Ihm die Füße gewaschen hätte! Er aber wollte ein Zeichen setzen, daß nur den Schwachen das Himmelreich offenstehe, so wie Er die, welche arm sind vor Gott, selig nannte. Mir aber sagte Er, ich hätte keinen Anteil an Ihm, wenn ich diesen Dienst nicht annähme! Da brach es aus mir heraus: »Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt!« Da wusch Er mich.
Memoria: Petrus, Petrus, Simon Petrus, wie konnte nach diesem Bekenntnis der Verrat geschehen?
CONDUCTUS
Petrus: Wie ist das geschehen? Ich war Ihm nach der Gefangennahme im Garten Gethsemane von weitem gefolgt, um zu sehen, wie es mit Ihm weitergehen würde. War das nur Neugier?
Memoria: Neugier, Sensationslust, Abenteuerdrang!
Petrus: Oder wollte ich vielmehr Ihn nicht allein lassen, da doch alle anderen entflohen waren?
Memoria: Treue, Anhänglichkeit, Mitgefühl.
Petrus: War Er nicht auch ein Mensch, der in seiner Not den himmlischen Vater anrief, der in seiner entsetzlichen Einsamkeit am Ölberg sich zu den wenigen, Ihm verbliebenen Jüngern flüchtete, deren Schlaftrunkenheit Ihn verzweifeln ließ, daß Er sie anflehte, doch mit Ihm zu wachen? Brauchte dieser Jesus nicht auch die menschliche Nähe wenigstens eines Getreuen? – Oder war es doch eher Großmannssucht,
Memoria: männliches Imponiergehabe, Angeberei, Geltungsdrang!
Petrus: wieder einmal, daß ich tapferer sein wollte als die anderen, daß ich die übrigen Jünger übertreffen wollte? – Bildete ich mir etwa ein, irgendetwas retten zu können? Gewaltsamen Widerstand lehnte Er ja doch ab: Als ich dem Knecht des Hohenpriesters das Ohr abschlug, tadelte Er mich: »Hör‘ auf damit, laß‘ sie nur machen. Soll ich den Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat? Simon Petrus, Du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was Menschen wollen!« Ja, so wies er mich zurecht, wieder einmal, als ich es nicht mitansehen konnte, daß Ihm, dessen Leben mir das Liebste und Wichtigste war, Gewalt geschehen sollte. Immer mußte Er mich dämpfen, wenn mein überschwengliches Gefühl mich mitriß. Immer wieder mußte Er mein hitziges Temperament mit einem kalten Guß zügeln. – Aber war es nicht doch Anhänglichkeit,
Memoria: Liebe!
Petrus: Zuneigung, Sehnsucht bei Ihm zu bleiben, das Bedürfnis, Gefahr und Angst mit Ihm zu teilen?
Warum aber konnte es dann zu dem Verrat an Ihm kommen? Wie konnte es geschehen, daß ich Seine Vorhersage vergaß? Seine Vorhersage, noch vor dem ersten Hahnenschrei würde ich Ihn verleugnen! War mit einem Mal die Angst stärker als die Liebe? Denkt man in Grenzsituationen doch immer mehr an sich selbst als an den Nächsten?
Oder war es Scham ? Ich, der tatkräftige, gesunde, starke und tüchtige Fischer aus Bethsaida sollte Gemeinschaft gepflegt haben mit dem dort schmählich Abgeführten, dem Duldsamen, jetzt mit höhnischer Anklage Überschütteten, der zu allen Beschuldigungen nur schweigt, sich demütigen, ja sogar schlagen läßt? So einer sollte mein Leitbild sein?
Wie oft habe ich mir seitdem gesagt: »Nein, es war kein Versagen von Dir, es war sogar geschickte Taktik, daß Du die Bekanntschaft mit Ihm abstrittest. Hätte ein Bekenntnis Ihm denn genutzt? Nein, Du wärest nur selbst mit hineingezogen worden, und unter Druck und Folter hättest Du andere mit verraten müssen: die übrigen Jünger, die Frauen und Kinder, die unserem Zug nach Jerusalem gefolgt waren, aber auch die vornehmen Juden, wie Joseph von Arimathia und Nikodemus, die nur insgeheim, aus Furcht vor dem Rat, Anhänger von Jesu Lehre waren. Nein. Deine Schuld wäre viel unerträglicher geworden, wenn Du viele hättest verraten müssen, anstatt nur einen (wenn auch Ihn) zu verleugnen!« So habe ich oft mein Gewissen beschwichtigt, – aber schon nach kurzer Zeit hörte ich wieder die Stimmen der Knechte und Mägde, die das Feuer auf dem Hofe beim Palast des Hohenpriesters umstanden, ihr Getuschel, ihr Gezischel, ihre Bezichtigungen, ihre drohenden Rufe:
Chor: »Dieser ist auch einer von denen, die bei ihm waren!«
Petrus: Halt –! Nein –! Still! Hört auf, ich kenne diesen Menschen nicht!
Memoria: In diesem Augenblick begann der neue Tag und der Hahn krähte.
Da wandte sich der Herr um und sah Dich an, da überfiel Dich wie ein Blitz die Erinnerung Seiner Vorhersage, und Du gingst hinaus und weinetest bitterlich.
III. Der Apostel
(»Cephas charitate crucifer«)
Orchester-Vorspiel »Ostern« CHORAL-PARTITA
a) cantus firmus im Tenor.
Memoria: Am ersten Tage der Woche
Petrus: gingen die Frauen mit den wohlriechenden Salben, die sie für den Leichnam ihres Herrn bereitet hatten
Memoria: in aller Frühe zu dem Grab.
Memoria / Petrus: Doch voller Schrecken fanden sie es leer,
Memoria: zwei Männer aber
Petrus: in leuchtenden Gewändern
Memoria: verkündeten ihnen Jesu Auferstehung Petrus: von den Toten am dritten Tage nach seiner Kreuzigung.
Memoria: Da erinnerten sie sich dieser Andeutungen ihres Meisters,
Petrus: kehrten eilig in die Stadt zurück und berichteten den elf Jüngern und den übrigen Anhängern, was sie erlebt hatten.
Memoria: Doch die Apostel hielten das alles
Petrus: für märchenhaftes Geschwätz und glaubten ihnen nicht.
Memoria: Nur Dich erfaßte eine Unruhe, Du standest auf, liefest zum Grab, bücktest Dich hinein und entdecktest, daß nur noch die leinenen Tücher dort lagen. Da gingst Du nach Hause voller Verwunderung über das, was geschehen war.
b) cantus firmus im Alt:
Petrus: Und so kam es dann: Mir als Erstem sollte der Auferstandene begegnen: Eines Tages, als ich auf dem See war, sah ich Jesus am Ufer stehen. Er fragte mich, ob ich Ihn mehr liebte als die anderen. Ich sprach:
Chor: »Ja, Du weißt es, Herr!« Petrus: Da entgegnete Er: Chor. »Hüte meine Lämmer!«
Petrus: Und ein andermal fragte Er mich, ob ich ihn lieb hätte. Und ich darauf:
Chor: »Ja, Du weißt es, Herr!« – »Weide meine Schafe!«
Petrus: Schließlich wiederholte Er ein drittes Mal: Chor. »Petrus, liebst Du mich?«
Petrus: Da überkam mich Traurigkeit, daß der Herr mich dreimal fragte, und ich antwortete:
Chor: »Ja, Du weißt es, Herr, daß ich Dich lieb habe!« Petrus: Darauf bekräftigte Jesus seinen Auftrag an mich:
Chor: »Leite Du meine Herde! – Wahrlich, wahrlich ich sage Dir, als Du noch jung warst, hast Du Dich selbst gegürtet und konntest gehen, wohin Du wolltest, wenn Du aber alt sein wirst, wirst Du Deine Hände ausstrecken und ein anderer wird Dich gürten und Dich hinführen, wohin Du nicht willst!«
Petrus: Und da Er das gesagt hatte, sprach Er wieder zu mir:
Chor: »Folge mir nach!«
c) cantus firmus – Sopran, koloriert:
Memoria: Als Jesus dieses alles gesagt hatte, geschah das Unbegreifliche, weißt Du noch? Vor Euren Augen wurde Er emporgehoben, und eine Wolke nahm Ihn auf und entzog Ihn Euren Blicken. Da wandtet Ihr Euch um, ginget nach Jerusalem und bliebet dort stets beieinander, einmütig mit Beten und Flehen.
d) cantus firmus im Baß:
Chor: Ha-nä-ä-ta-o ä-ji-a-ßär-do ha-li-nä-ga etc. etc.
Petrus: Als aber der Tag der Pfingsten erfüllt war, wurden wir alle voll des Heiligen Geistes. Da entsetzten sich alle Juden, und ich mußte ihnen erklären, daß wir mitnichten betrunken waren, sondern in Zungen redeten. Da, plötzlich, verstanden sie die Worte:
Memoria / Chor: »Johannes, der taufte mit Wasser, doch Ihr sollt getauft werden mit dem Heiligen Geist!«
e) cantus firmus im Baß:
Memoria: Von nun an wirkte der Heilige Geist viele Zeichen und Wunder, und Gott führte der Gemeinde täglich durch die Apostel neue Gläubige zu! – Viel Segen ging vor allem von Petrus aus. Er war es, der als Erster den Heiden das Evangelium brachte.
Sprecher. Aber – so, wie der junge Simon, aus dem Dunkel der Vergangenheit auftauchend, erst Gestalt gewinnt, als er wie ein Mond der Sonne seines Lebens sich Jesus Christus, dem wahrhaftigen Licht, nähert, so verliert sich die Spur des alternden Apostels Petrus mit zunehmender Entfernung von den Ereignissen um Ostern mehr und mehr wieder in der Vergessenheit der Geschichte. Zuletzt ging in Rom wohl Jesu Prophezeiung des Märtyrertodes in Erfüllung, den Petrus – überschwenglich in der Liebe zu seinem Herrn, wie er ein Leben lang gewesen war – sich in Überbietung der Leiden Jesu als Kreuzigung mit dem Kopf nach unten gewünscht haben soll. Zurück aber blieb seine über alles trostvolle Zusage, die er der verstreuten Christengemeinde hinterließ und für die er mit seiner Stellung als wichtigster Apostel trotz immer wieder fehlsamen Verhaltens bürgte:
Chor: »Denn Liebe, denn ein Herz voll Liebe, das deckt der Sünden Menge!«
CONCLUSIO
Oratio:
Chor: »Deus, qui beatum Petrum apostulum a vinculis absolutum illesum abire fecisti, nostrorum, quesimus, absolve vincula peccatorum et omnia mala a nobis propitiatus exclude per dominum nostrum JHesum Christum, filium tuum, qui tecum vivit et regnat in unitate Spiritus Sancti, DEus per omnia secula seculorum. Amen!«
»Petrus, liebst Du mich?« »Ja, Du weißt es, Herr, daß ich Dich lieb habe!« »Weide meine Herde!«
»Petre, amas me?« »Tu scis, domine, quia amo te!« » Pasce oves meas!«
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Ruth Forsbach
In Düsseldorf geboren, studierte Ruth Forsbach nach dem Abitur dort an der Robert-Schumann-Musikhochschule Klavier (Staatliches Musiklehrerexamen), Orgel und Liedbegleitung, außerdem an der Universität zu Köln Musikwissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte.
1975 wechselte sie in die Orgelklasse von Gerd Zacher an die Folkwang-MHS Essen, wo sie 1979 den Konzertabschluß machte. Als Kirchenmusikerin war sie in Düsseldorf an der altlutherischen Erlöserkirche und an der Ev. Stadtkirche in Moers tätig, bevor sie 1977 das Amt der Kantorin an der Ev. Stadtkirche Remscheid übernahm. Dort baute sie eine umfangreiche Arbeit auf mit den Schwerpunkten unbekannte Musik der Romantik und zeitgenössische Kirchenmusik. 1990 wurde sie Kreiskantorin, 1999 Kirchenmusikdirektorin. Zahlreiche Konzerte im In- und Ausland (vor allem in Tschechien), CD-Einspielungen, Dozententätigkeit; Mitarbeit im Vorstand der Bergischen Gesellschaft für neue Musik und der „Bergischen Biennale“ .
Prof. Ruth Forsbach-Backhaus
Kirchenmusikdirektorin der Evangelischen Stadtkirche Remscheid / BRD /